Marianne Tschiedel in den 1990er Jahren an ihrem Arbeitsplatz im Rechenzentrum in Hoyerswerda

EDV beim Absatz und Vertrieb fester Brennstoffe
für die gesamte Kohleindustrie der DDR

Erinnerungen von Marianne Tschiedel

Planwirtschaft und Maximalproduktion von Braunkohle stellten im VEB KSP 2 ständig höhere Anforderungen an die Organisation des Absatz- und Versorgungsprozesses. Die Rechentechnik sollte dazu beitragen. 1968/69 wurden die ersten Überlegungen angestellt. Seit dieser Zeit war ich als verantwortliche Themenleiterin eingesetzt. Grundsätzlich gingen wir von einer dezentralen Versanderfassung in den Versandstellen Sabrodt und Spreewitz und einer zentralen Rechnungslegung und Abrechnung im Rechenzentrum Hoyerswerda aus. Zunächst wurden in den Versandstellen Orgautomaten 528 zur rechnergestützten Frachtbriefausschreibung eingesetzt. Sie erzeugten gleichzeitig Lochstreifen mit den erforderlichen Waggondaten.


Gebäude des ehemaligen Rechenzentrums in Hoyerswerda/Kühnicht | Foto: G. Walter im April 2018

Mit der Inbetriebnahme der EDV-Anlage R300 im Rechenzentrum (RZ) Hoyerswerda begann 1970 die Projektierung und Programmierung der Rechnungslegung. Ich erinnere mich an das erste Rechnungsformular, das von Frau Kuhnert programmiert wurde. Die Fachabteilung und wir waren begeistert. 1974 hatten wir das EDV-Projekt „Rechnungslegung und Abrechnung fester Brennstoffe“ entwickelt. In der gesamten Kohleindustrie der DDR gab es kein vergleichbares Projekt, so dass wir eigentlich Pionierarbeit leisteten. Es wurde für alle Betriebe angepasst und ab 1976 in deren Rechenzentren eingeführt. Mit fortschreitender Rechentechnik, sprich ESER 3, sollte der ganze Prozess weiter optimiert werden. Jetzt interessierten sich auch die Staatliche Kohleversorgung (SVK) in Berlin und Leipzig sowie 15 VEB Kohlehandel für unser Projekt. Es folgte eine Zeit größter Arbeitsintensität. Ich weiß noch, wie ich für bis zu zehn Programmierer gleichzeitig projektierte. Damals herrschte noch „Worksharing“ zwischen den Organisatoren und Programmieren!

In den 80er Jahren waren überbetriebliche Arbeitsgruppen tätig, um den fachlichen Anforderungen aller Kombinate gerecht zu werden. Abenteuerlich war zeitweise die hardwaretechnische Ausstattung der Versandstellen. Wie ein Puzzle wurden die Geräte zusammengetragen. Jede Steckeinheit wurde zum Beschaffungsproblem, und ohne Eigenanfertigung im Mikroelektroniklabor wäre der Versandprozess wohl nie zum Laufen gekommen. Immerhin mussten die Daten von täglich 20 Vollzügen mit jeweils ca. 40 Waggons Kohle erfasst und dem Zentralrechner zur Verfügung gestellt werden. Auch die Deutsche Reichsbahn bzw. Anschlussbahn waren mit einbezogen. Sie experimentierten an einem sogenannten „Bauchladenerfassungsgerät“ für die einfahrenden Leerwagenzüge. Weitere einzelne Module, wie die Erfassung von Einzelaufträgen (Versanddispositionen) und der Landabsatz, konnten integriert werden.

Die komplexe Lösung nahm sichtbare Formen an: ein operatives Informationssystem (OIS), das die Informationen täglich für alle Leitungsebenen bis hin zur SKV Berlin bzw. zum MKE bereitstellen sollte. Dafür benötigten wir 1987 eine größere Anzahl von „Kleincomputern“. Eingesetzt wurden die Typen PC 1715, BC 5120, AC 7100 und K 1630 von verschiedenen Herstellern. Entsprechend bunt waren die Programmiersprachen. Die Stammprogrammierer Ursula Baumgart, Eveline Lippert, Angelika Urbanek und Günther Lange können ein Lied davon singen. Seit 1986 programmierte ich selbst mit. Viele PC-Lehrgänge mussten besucht werden, auch von mir.
1989 näherten wir uns unserem großen Ziel. In Würdigung der erzielten Leistungen erhielt das überbetriebliche Forschungskollektiv für das sog. Staatsplanthema noch im April 1989 die Auszeichnung „Banner der Arbeit Stufe II“ im Roten Rathaus in Berlin. Die letzten Absprachen mit der SVK in Leipzig am Markt wurden jedoch bereits von den großen Demonstrationen begleitet.

Mit der Wende 1990 kam alles anders. Die Kohlebetriebe wurden neu „strukturiert“, der Verbund und das „Republiksprojekt“ aufgelöst. Mit neuer IBM-Rechentechnik kamen die Host-Softwarelösungen „ILAS“ und „SAP“ aus dem ehemaligen „Westen“, die umfangreich und mit viel Aufwand angepasst werden mussten. Für die LMBV 4 kaum noch lohnenswert, da hier die Produktion und Absatz fester Brennstoffe bald auslaufen sollte. Einzig die von Frau E. Lippert geschaffene PC-Versandlösung fand in der LAUBAG ihre weitere Anwendung.
Bis 1997 waren es für mich 33 Jahre Arbeit und Rationalisierung im Wandel der Rechentechnik – eine sehr interessante Tätigkeit. Viele „PC-Kandidaten“ stehen heute bereits im Computermuseum! Als Rentnerin habe ich jetzt Zeit, sie hin und wieder zu besuchen.

1) EDV = Elektronische Datenverarbeitung
2) VEB KSP = Volkseigener Betrieb Kombinat Schwarze Pumpe
3) ESER = Einheitliches System der Elektronischen Rechentechnik
4) LMBV = Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft

Diplom-Ökonomin Marianne Tschiedel
Hoyerswerda, den 25.02.2001


Informationsfluss beim Bahnabsatz – Schematische Darstellung

Die Grafik entstand nach der Überführung des Gaskombinats Schwarze Pumpe (GSP) in die Energiewerke Schwarze Pumpe AG (ESPAG). Sie stellt in Grundzügen den Stand von 1989 dar, dem Jahr, in dem den Entwicklern des Projekts „Rechnergestütztes Produktions- und Transportregime fester Brennstoffe“ die Kollektivauszeichnung „Banner der Arbeit“ verliehen wurde.Die Grafik wurde unmittelbar nach 1990 vom neu eingesetzten Leiter der Abteilung Datenverarbeitung, Herrn Jürgen Lenhardt aus Wiesbaden, erstellt.

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