Zuse Z 25 in der Dauerausstellung des ZCOM

Produkte der Zuse KG für Schwarze Pumpe?

„Mitteilung“ von Ingrid Scholz mit einführenden Worten von Gerhard Walter

Der weltweite Aufschwung der Rechentechnik in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg führte auch in der DDR zu Überlegungen, die Produktion mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) zu automatisieren, zu rationalisieren, effektiver und sicherer zu gestalten. Durch den äußeren Rahmen des Kalten Krieges und des Systemwettbewerbs wurde in der DDR zunehmend erkannt, dass ein Wettlauf nur durch eine starke Ökonomie zu bestehen sei.
Unter schwierigen äußeren wirtschaftlichen Bedingungen, die von Sanktionen, Embargos und dem Gefälle zu westlichen Währungen gekennzeichnet waren, entwickelte sich an manchen Produktionsstätten im östlichen deutschen Staat mit Ideenreichtum, Findigkeit und intelligentem Neuerertum ein Drang, das Wenige so gut wie möglich auszunutzen. Aus dem Mangel entsprang mitunter eine enorme Kraft.

Kombinat Schwarze Pumpe in den 1970er Jahren | Foto: Privatsammlung Marianne Tschiedel

So spielte das in der Nähe von Hoyerswerda gelegene Gaskombinat Schwarze Pumpe (KSP) eine wesentliche Rolle bei der Veredlung einheimischer Braunkohle, die der DDR die weitgehende Unabhängigkeit von Importen an Energieträgern sicherte.

Eine Episode im Ringen um den Einsatz der EDV im Produktionsprozess des KSP zeigt eine Studie des Instituts für Datenverarbeitung (IDV) aus dem Jahr 1964. Ein Kuriosum dieser Studie ist der in Erwägung gezogene Einsatz von Produkten der Zuse KG, der jedoch letztendlich auf Ablehnung stieß. Das nachfolgende, von Frau Ingrid Scholz handschriftlich verfasste Dokument „Mitteilung“, nimmt Bezug auf diese Studie.
Bemerkenswert ist, wie weit die Überlegungen der jungen Fachkräfte der Datenverarbeitung trotz der Unzulänglichkeit der Mittel fortgeschritten waren, die Rationalisierung mittels EDV-Anlagen tatsächlich durchzuführen. Dabei wurde der Blick mutig nach vorn gerichtet, indem man sich technologisch an der Weltspitze orientierte.
Die 1965 zur Diskussion gestellte Studie liegt zwar nicht im Wortlaut vor, der Text der Mitteilung lässt jedoch auf Kerngedanken schließen. So ging es offensichtlich um die Einführung moderner Prozessrechentechnik zur Überwachung der Produktionsabläufe in der Kokerei des Gaskombinats Schwarze Pumpe. Im Konkreten befasste sich die Studie mit der Messwerterfassung und Verarbeitung von circa 11.000 Messstellen in der Kokerei des Gaskombinats Schwarze Pumpe (KSP).

Ohne eine auswertende Konzentration hätte die gewaltige Zahl anfallender Daten zur Überforderung des Leitstandes und damit zum Verlust der Möglichkeit geführt, den Produktionsprozess dynamisch zu steuern. Es ging darum, sich für ein System zu entscheiden, das die rechentechnische Bearbeitung von Prozessdaten gestattete. Gerätetechnisch standen mehrere Varianten zur Diskussion.
Als Hersteller in Frage kommender Systeme fand auch die Zuse KG Erwähnung. Es ist anzunehmen, dass zu dieser Zeit ein Rechner vom Typ Z 25 ins Auge gefasst wurde, der ab 1963 in Serienproduktion lief und bereits an verschiedenen Stellen in Forschung und Industrie zum Einsatz kam.


Sequenz der Mitteilung von Ingrid Scholz, die Bezug auf die Zuse AG nimmt

Auch die Notwendigkeit der Schaffung von Redundanzen zur Erhöhung der Ausfallsicherheit wurde in der Studie behandelt. Schließlich spielte auch die Frage der Qualifikation des Bedienungspersonals der neuen Technik eine Rolle.

„Mitteilung“ vom 27.04.1965, verfasst von Ingrid Scholz

Hier in der Abschrift des handschriftlichen Originals zu lesen:

Mitteilung Pumpe, den 27.4.65
Scho
Betr.: Beurteilung der Studie des IDV
Datenverarbeitung Kokerei KSP
Themen-Nr. 4 – 21 423 / 4
Teil 1
Laut Aufgabenstellung sollen mit der vorliegenden Studie technisch und ökonomisch infrage kommende Varianten zur methodischen und gerätetechnischen Realisierung der Meßwerterfassung und -verarbeitung in der 1. Kokerei des KSP erarbeitet werden.

Im Ergebnis wird der Einsatz des Systems CAE 510 oder als Ausweichmöglichkeit der Systeme Gamma M 40 (Bull) oder Arch 2000 (Elliot) vorgeschlagen.

Grundlage für die Ermittlung der Anforderungen an ein solches System war ein im 1. Halbjahr 1964 vom WTI Cottbus erarbeiter Datensollentwurf. Dieser Datensollentwurf verlangt die Meßwerterfassung und -verarbeitung von mehr als 11.000 Meßstellen. Da auf dem Gebiet der Prozeßüberwachung mit Hilfe der Datenverarbeitung in der DDR kaum Erfahrungen vorhanden sind, mußte auch zwangsläufig dieser erste Datensollentwurf Mängel aufweisen.

Man sollte von einem Fachinstitut für Datenverarbeitung erwarten können, daß demzufolge ein solcher Datensollentwurf nicht kritiklos hingenommen wird, sondern daß erst nach gründlicher Überprüfung und eventueller Korrektur dieser Arbeitsunterlagen die gerätetechnische Bearbeitung in Angriff genommen wird.

Dabei sollten folgende Gesichtspunkte unbedingt Beachtung finden:

1.) Welche vergleichbaren Systeme gibt es im internationalen Maßstab, und wie realisieren diese methodisch die Prozeßüberwachung?

2.) In welchem Verhältnis stehen Eingabe- und Ausgabeaufwand?
Welche rechnerischen Verknüpfungen gibt es?

3.) Sind Umfang, Form und Zyklus der Datenausgabe so gehalten, daß mit den ausgegebenen Werten und Signalen auch sinnvoll gearbeitet werden kann?
Ist gewährleistet, daß das Leitstandpersonal über die Vorgänge und Tendenzen im Produktionsprozeß ausreichend informiert ist, um operativ in den Prozeß eingreifen zu können?

4.) Ist gewährleistet, daß die Ergebnisse des Systems für langfristige Auswertungen anwendbar sind?
Offensichtlich ist eine derartige Überprüfung des 1. Sollentwurfes des WTI Cottbus vom IDV nicht vorgenommen worden. Zumindest gewinnt man auf Grund der vorliegenden Studie den Eindruck, daß das IDV seine Aufgabe einzig und allein in der technischen Realisierung der im 1. Datensollentwurf gestellten Forderungen gesehen hat. Unseres Erachtens ist eine solche Auffassung der Aufgabenstellung für diese Studie zu eng.

Inzwischen ist der Umfang der Meßstellen auf Veranlassung des WTI durch die Bereichstechnologie Kokereien auf etwa 6000 reduziert worden, und außerdem hat das WTI einen neuen Datensollentwurf, der o.g. Gesichtspunkte weitesgehend berücksichtigt, erarbeitet.

Das hat zur Folge, daß die vom IDV mühsam zusammengestellten Anforderungen an eine MEVA in der 1. Kokerei des KSP ungültig geworden sind und damit sicherlich in bestimmten Umfang auch die vorgeschlagenen Varianten zur gerätetechnischen Realisierung.
Es ist unbedingt zu untersuchen, welche Auswirkungen der neue Datensollentwurf auf die Anforderungen an eine MEVA hat, um Fehlentscheidungungen, die bei der Bedeutung der Kokerei und dem Wert derartiger MEVA von großer Tragweite sein werden, zu vermeiden.

Zu einigen Problemen der Studie vom 10.12.1964:
1.) Auf Seite 7 wird die These aufgestellt, daß bei Ausfall der MEVA die Kokerei stillgesetzt werden muß. Mit einer solchen These kann man nicht einverstanden sein.
Erfahrungen aus Westdeutschland z.B. beweisen das.
„Die gesamte Meß- und Regelungstechnik einschließlich Sicherheitsanlagen ist stets so auszuführen, daß sie bei Ausfall eines Rechners noch in der bekannten Form betriebsbereit bleibt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß man aus analogen Darstellungen mittels Schreibern den Prozeßverlauf einschließlich der Tendenzen schneller übersehen kann, als aus digitalen Tabellen, d.h. Sicherheitssystem und Analogschreiber werden durch den Einsatz von Rechnern keineswegs überflüssig.“ 1)

1) H&Z – Sonderhefte ACHEMA’64, 1964, Frankfurt am Main, Stefan Block, „Stufen der Automation“, S. 5

2.) Auf Seite 9 wird gesagt, daß bei Rückgang auf die herkömmliche Meßtechnik nach Angaben des KSP ein Mehraufwand von ca. 100 Arbeitskräften erforderlich wäre. Wir sind natürlich momentan nicht in der Lage, diese Zahl anzufechten; es ist uns jedoch nach Einblicknahme in den Perspektivplan des KSP aufgefallen, daß vonseiten der Bereichstechnologie Kokereien keine richtigen Vorstellungen über Umfang und Qualifikation des Bedienungspersonals der MEVA vorhanden sind.
Entsprechende Hinweise sollten, wenn noch nicht erfolgt, sowohl vom IDV als auch vom WTI sofort der Bereichstechnologie Kokerei gegeben werden. Außerdem sollte auch untersucht werden, welche neuen Anforderungen die Prozeßüberwachung mit Hilfe elektronischer Rechenanlagen an Umfang und Qualifikation des Leitstandspersonals stellt.

3.) Seite 10
Kann man die genannten Gründe als hinreichend für das Ausscheiden der Firmen Zuse KG und Ferranti bezeichnen?

4.) Zu Angebot CAE 510
Um die Vorteile des Systems hinreichend beurteilen zu können fehlen nähere Angaben zu folgenden Fragen:

    • Wieviel Meßstellen wurden bisher von einer Anlage CAE 510 maximal verarbeitet? Welche Aufgaben erfüllt der Rechner in bisherigen Systemen?
    • Welche methodischen Erfahrungen liegen bereits vor?
    • Welche Umweltbedingungen verlangt die Anlage?
    • Warum liegen keine konkreten Untersuchungen vor, welche Umweltbedingungen die Kokerei höchstens bieten kann? Zusätzliche technische Maßnahmen zur Schaffung notwendiger klimatischer Verhältnisse, Staub- und Gasschutz können sehr teuer werden und müssen in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mit einbezogen werden. Laut Referenzliste ist ein CAE 510 zur Überwachung eines Kernreaktors in Karlsruhe eingesetzt. Man spricht von einer Zuverlässigkeit des Rechners von 99,24 %.
    • Warum braucht man für die Kokerei einen 2. Rechner als Ausweichmöglichkeit?
    • Inwieweit wird der 2. Rechner CAE 510 genutzt sein? Welche Möglichkeiten ergeben sich für die Nutzung der freien Kapazität (Überwachung einer weiteren Betriebsanlage oder Durchführung wissenschaftlicher und kommerzieller Rechnungen)?
    • Im neuen Sollentwurf ist das Ausdrucken aller Grenzwertüberschreitungen zwar beigelegt worden. Wie aber stellte sich das IDV das Ausdrucken dieser Werte über einen Zeilendrucker vor? Würde das Personal mit Hilfe so erzeugter Tabellen in der Lage sein, Schwerpunkte zu erkennen und immer richtig in den Prozeß eingreifen zu können?
  • Ist die Variante CAE 510 unter den Bedingungen des neuen Datensollentwurfs tatsächlich noch die günstigste? Wie verhalten sich die anderen Varianten unter den Bedingungen des neuen Datensollentwurfs (z.B. das Gier-System oder Eurocomp)?

In der Abschrift wurde die originale Rechtschreibung beibehalten.

Abkürzungen und Bezeichnungen:
KSP
IDV
WTI
MEVA
CAE 510
Gamma M 40 (Bull)
Gier-System
Eurocomp
Kombinat Schwarze Pumpe
Institut für Datenverarbeitung
Wissenschaftlich Technisches Institut Cottbus
Meßstellen Erfassungs- und Verarbeitungssystem
Computer für Industrie und Foschung (1962)
Computer zur Prozeßsteuerung (1962)
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