Die Kunst des Konrad Zuse – dokumentieren, um sie dem Vergessen zu entreißen
Ein Beitrag von Prof. Dr. Horst Oberquelle, Universität Hamburg
Der Erfinder des Computers, Konrad Zuse, hat sich Zeit seines Lebens auch als Künstler betätigt. Das ist weniger bekannt und bisher nicht systematisch erfasst worden. Im Rahmen einer Dokumentation des künstlerischen Schaffens des Multi-Genies Zuse sind bisher 958 Werke erfasst worden, die in den unterschiedlichsten Techniken und in unterschiedlichen Perioden entstanden sind. Dabei hat Konrad Zuse über die Schulzeit hinaus keinerlei künstlerische Ausbildung erfahren, also autodidaktisch und als Hobby-Künstler gewirkt. Immerhin hat er eine besondere Ehrung als Künstler erfahren, indem ihm die documena’13 posthum eine Sonderausstellung widmete.
Für Interessenten an der Kunst-Seite von Konrad Zuses Schaffen soll hier eine kleine Auswertung des künstlerischen Wirkens versucht werden.
Unterteilt man die Lebenszeit in charakteristische Abschnitte, so kann man feststellen, dass ganz unterschiedliche Techniken dominierten:
In der Schulzeit (1925-1928) erlernte Konrad Zuse in Hoyerswerda das Aquarellieren. Es entstanden 27 Aquarelle mit Motiven, die von naturalistischen Landschaftsbildern immer mehr zu abstrakten Architektur- und Technik-Motiven führten. Anscheinend wurde 1925 in der Schule auch Linolschnitt geübt. Es kommen vor allem Landschaftsmotive, aber auch schon Architektur, Porträts und eine Windmühle vor, Motive, die man in späteren Perioden immer wieder antrifft. Im Schulunterricht hat sich Konrad Zuse vermutlich häufig gelangweilt. Dies verführte ihn dazu, lustige Szenen in 12 bekannten Karikaturen festzuhalten. Auch später hat er mit leichter Hand Karikaturen gezeichnet.
Als Student betätigte sich Konrad Zuse 1930/1931 vor allem als Werbegrafiker für die Firma Ford. Es entstanden über 30 feingliedrige perspektivische Bleistift- und Tuschezeichnungen, teils coloriert, von Autos. Auch mehrere Scherenschnitte sind dabei.
Aus der Erfinder-Zeit (1936-1945), in der Konrad Zuse den ersten Computer schuf, sind keine künstlerischen Arbeiten bekannt, bis auf 4 feine Bleistiftzeichnungen aus dem Jahre 1942.
Während seiner Zeit im Allgäu (1945 – 1946) konnte sich Konrad Zuse nicht mit der Weiterentwicklung seiner Computer befassen. Neben der theoretischen Arbeit am Plankalkül malte er kleine Bilder (sog. Gamsbilder), die er angeblich an amerikanische Soldaten verkaufte, um zum Lebensunterhalt seiner Familie beizutragen. Es ist nur ein Beispiel eines solchen Bildes bekannt, das eine Enzianpflanze zeigt. In dieser Zeit widmete sich Konrad Zuse einer neuen Technik: Er begann, Motive aus dem Allgäu in Form von feingliedrigen Holzschnitten darzustellen. Darunter befinden sich auch Farbholzschnitte, die technisch anspruchsvoll sind, da passende Druckpatten für verschiedene Farben benötigt werden. 31 Landschaftsmotive und 3 Porträts sind aus dieser Zeit bekannt.
Ab 1946 baute Konrad Zuse seine Firma wieder auf, siedelte vom Allgäu nach Neukirchen/Hünfeld in Hessen über und kam als Erfinder und Unternehmer bis etwa 1962 nicht dazu, seine künstlerischen Ambitionen auszuleben.
Erst gegen Ende seiner Unternehmer-Karriere nahm er 1962 zunächst mit wenigen Ölbildern und Linolschnitten die künstlerischen Arbeit wieder auf, vielleicht auch als Kompensation für die weniger erfreulichen Entwicklungen in der Firma, die ja inzwischen über 1.000 Personen beschäftige, aber in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.
Etwa ab 1963 zeichnete Konrad Zuse Werke mit „Kuno See“ bzw. „K. See„, nachdem ihm Freunde geraten hatten, sie nicht mit „Konrad Zuse“ zu signieren. Sie waren der Meinung, dass einem Unternehmer mit Schwierigkeiten zu viel Kunst nicht gut zu Gesicht stehen würde. „Kuno See“ lässt sich als Abkürzung von „Kuno von und zu See“ erklären: Kuno war der Spitzname von Konrad seit seiner Studienzeit, „von und zu See“ die „Adelsvariante“ von „Zuse“. Lässt man den Adelsanteil fort, ergibt sich „Kuno See“. Alle 6 Linolschnitte von 1962 sind mit K. See signiert. Bei Ölbildern findet man „Kuno See“ erst ab etwa 1965 bis 1978.
Nach dem Ausscheiden aus der Firma widmete sich Konrad Zuse sehr intensiv seinem künstlerischen Hobby. Es entstanden neben vielfältigen Skizzen Kreidezeichnungen und vor allem Ölbilder in meist großen Formaten. Bisher konnten knapp 100 Skizzen, 167 Kreidezeichnungen und 518 (!) Ölgemälde erfasst werden.
Betrachtet man diese Schaffensperiode von über 30 Jahren, so kann man unterschiedlich intensive Phasen und Interessen an Motiven unterscheiden.
Die bekannten 94 Skizzen stammen aus den 60er Jahren und wurden mit Bleistift, Buntstift, Filzstift und Pastellstiften angefertigt. Sie beinhalten vor allem Landschaften und abstrakte Formen.
In den 60er Jahren entstanden über 100 Kreidezeichnungen, überwiegend mit Architektur- und Landschaftsmotiven sowie abstrakten Formen. In den 90er Jahren kamen als Auftragsarbeiten mehr als 40 Porträts in Kreide (vor allem von Computerpionieren) hinzu.
Die überwältigende Technik in Konrad Zuses künstlerischem Schaffen ist die Ölmalerei, der er sich ab 1962 bis zu seinem Lebensende verschrieb. Dabei können Phasen unterschiedlicher Intensität beobachtet werden. Zwischen 1963 und 1970 entstanden allein über 200 Ölgemälde, von 1976 bis 1986 jährlich etwa 20 Bilder. Während des Nachbaus der Z1 (1987-1989) sind nur insgesamt 10 Bilder entstanden. Danach wurden drei Jahre lang wieder viele Bilder gemalt. Bei 40 Ölbildern ist bisher die Datierung noch nicht gelungen.
Schaut man das Werk einmal unter dem Gesichtspunkt an, welche Motive Konrad Zuse fasziniert haben, so lässt sich folgendes beobachten. Neben vielfältigen Bildern von Landschaften (237) in allen möglichen Techniken stechen Bilder von fantasievollen Hochhausarchitekturen (168) und Fantasiearchtitekturlandschaften (107) hervor. Aber auch Kirchen (18) und Kirchenfenster (34) treten immer wieder auf. Viel Dynamik ist in Bildern mit ganz abstrakten Formen (155), aber auch mit floralen Formen (34), Windmühlen (40) und Schiffen (21) zu finden. Auch an 6 Aktzeichnungen hat sich Zuse versucht.
Die allermeisten Bilder Konrad Zuses sind Ausdruck seiner regen Fantasie. Man könnte sie expressionistisch nennen, auch wenn sich Zuse selbst keiner Kunstrichtung zugerechnet hat und sein Werk von der Kunstgeschichte (zumindest bisher) gar nicht betrachtet und eingeordnet wird. Bei den Hochhausmotiven kommen leicht Assoziationen zur Kunst von Lionel Feininger auf. Wahrscheinlich wurde er durch Werke von Feininger angeregt, aber Konrad Zuse entwickelte seine ganz eigene Fantasie über architektonische Welten.
Fasst man das künstlerische Schaffen kurz zusammen, so kann man feststellen, dass Konrad Zuse vielfältige Techniken meisterhaft beherrschte, sich in Abwechslung mit Phasen technischer Erfindungen und unternehmerischer Tätigkeiten immer wieder seiner Kunst zuwandte, seiner Fantasie freien Lauf ließ und ein überwältigendes Oeuvre hinterlassen hat.
Die Erfassung des Gesamtwerkes stößt leider an Grenzen, die nicht leicht zu überwinden sind. Einerseits gibt es keinerlei Verzeichnis aller Werke. Aus der Familie wurde zum Glück eine Vielzahl von Fotos zur Verfügung gestellt. Konrad Zuse hat häufig Bilder an Stelle von Blumen als Gastgeschenk mitgebracht. Wer die Empfänger im Einzelnen waren, ist nur teilweise bekannt. So konnten einzelne Werke bei den mit ihm bekannten Computer-Pionieren oder deren Erben lokalisiert werden. Auch Firmen und Organisationen haben in Anerkennung der Leistungen des Computer-Pioniers Konrad Zuse Werke von ihm erstanden. Die Zahl der Sammler von Zuse-Kunst ist ebenfalls nicht bekannt. Unter ihnen nimmt Dr. Friedrich Genser eine Sonderrolle ein; er hat vermutlich die größte private Zuse-Sammlung und die Dokumentation nach Kräften unterstützt. Hilfestellungen leistete auch Dr. Kurt Pauli. Andere Sammler sind inzwischen verstorben; über den Verbleib der Sammlungen ist wenig bekannt. Vor allem geht mit dem Aussterben der älteren Generationen viel Wissen über Zuse-Kunst verloren.
Sollte sich unter den Lesern dieses Artikels jemand befinden, der nützliche Hinweise auf Zuse-Werke geben kann, die vermutlich noch nicht erfasst wurden, so wäre eine Nachricht über
E-Mail: horst.oberquelle@informatik.uni-hamburg.de oder Telefon: 040 / 602 14 05 sehr hilfreich.
Hinweisen wird vertraulich und mit Diskretion nachgegangen – gegen das Vergessen und zu Ehren des Künstlers Konrad Zuse!
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